History, Department of

 

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2010

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Published in: Günther Pallaver & Leopold Steurer (eds.), ‘Deutsche! Hitler verkauft euch!‘ Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol (Bozen, 2010), pp. 305-335.

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Copyright 2010 Edition Raetia.

Abstract

Im Mai 2007 taucht in Buenos Aires das Reisedokument eines gewissen Ricardo Klement aus dem Südtiroler Weinort Tramin auf. Der Ausweis mit der Dokumentennummer 100.940 und dem Stempel des Roten Kreuzes wurde im Juni 1950 vom Delegierten des Internationalen Roten Kreuzes in der Hafenstadt Genua ausgefertigt und unterschrieben. Was die Sache brisant macht: Bei Ricardo Klement handelt es sich um Adolf Eichmann, den Organisator der Shoah - des Völkermords an den Juden. Eichmann hatte sich für seine Flucht nach Übersee 1950 Südtiroler Papiere und eines Rotkreuzausweises bedient. Der Fund löste einen weltweiten Sturm der Empörung und der Verwunderung aus. Im Zentrum der Kritik stand das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und seine - offenbar unbeabsichtigte - Fluchthilfe für NS-Täter. Doch warum verwandelte sich der personifizierte "Schreibtischtäter" ausgerechnet in einen Südtiroler? Schon bald sollte sich zeigen, dass Eichmann keine Ausnahme war. Auch andere NS-Täter und Kriegsverbrecher nahmen auf der Flucht nach Übersee Südtiroler Identität an und bekamen offenbar Personalausweise von Südtiroler Gemeinden. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum Südtirol zum idealen NS-Refugium auf Zeit wurde. Südtirol war eine Art "Niemandsland" - vor allem der völkerrechtliche Status seiner Menschen War seit der Option von 1939 ungeklärt. Dieser Umstand und andere Faktoren machten Südtirol zum wichtigen Nazi-Schlupfloch. Es gibt wohl keine andere Region Europas, die mit ihr gleichzusetzen wäre.

Flucht bei Kriegsende

Unmittelbar um das Kriegsende 1945 wurde Südtirol zu einem der letzten Rückzugsgebiete für Faschisten und Nationalsozialisten, Kollaborateure und NS-Täter aus ganz Europa. Ende April 1945 war das Dritte Reich - abgesehen von Böhmen und Mähren und Schleswig-Holstein - praktisch auf das Alpengebiet in Westösterreich und Südtirol zusammengeschmolzen. Die Flucht in die propagierte "Alpenfestung" bedeutete ein letztes Ausweichen vor den Armeen der Alliierten, und das "Niemandsland" Südtirol zwischen Deutschland und Italien war dabei besonders begehrt. Grund dafür war nicht zuletzt die Nähe zur Schweiz und damit eine mögliche Fluchtmöglichkeit ins neutrale Ausland.

Bereits in den letzten Kriegswochen flüchteten auch hohe Militärs und NS-Prominenz in die Südtiroler Berge. Im April 1945 kamen die Familien der NS-Führer vom bombardierten Obersalzberg bei Berchtesgaden nach Südtirol, darunter die Familie von Reichsleiter Martin Bormann. Von der deutschfreundlichen Bevölkerung, die vom faschistischen Italien jahrelang unterdrückt worden war, brauchten sie kaum "Verrat" zu fürchten. In Gröden verbargen sich auch die Frau und die Tochter des Reichsführers-SS Heinrich Himmler.

Der Beauftragte der Reichsbank und "Arisierer" jüdischen Vermögens, Maximilian Bernhuber, versteckte sich ebenfalls auf einem Südtiroler Bauernhof. Bernhuber verhafteten die Carabinieri im August 1945 im Pustertal. Ihm wurde von der italienischen Justiz eine Reihe von Straftaten zur Last gelegt.

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